Fernsehen lebt von Emotionen. Je mitreißender die Atmosphäre, desto überzeugender wirkt das gezeigte Programm. Doch oft ist die frenetische Begeisterung, die Sie in großen Shows oder Talkrunden erleben, nicht so spontan, wie sie scheint. Applaus, Jubel und Gelächter werden häufig gezielt gesteuert, um eine gewünschte Wirkung beim Publikum zu erzielen. Doch wie funktioniert diese Inszenierung eigentlich?
Die Rolle der Einheizer
Eine der wichtigsten Figuren bei der Stimmungsmanipulation sind sogenannte „Warm-Upper“ oder Einheizer. Ihre Aufgabe ist es, das Studiopublikum auf Betriebstemperatur zu bringen. Noch bevor die Kameras laufen, stimmen sie die Zuschauer auf die Show ein, animieren zum Mitklatschen und motivieren zu lautstarken Reaktionen. So entsteht eine euphorische Grundstimmung, die sich durch die gesamte Sendung zieht.
Einheizer geben oft klare Anweisungen: Wann geklatscht, gejubelt oder gelacht werden soll. Dabei wird das Publikum bewusst auf eine bestimmte Tonalität gebracht. Spontane, echte Reaktionen treten dabei oft in den Hintergrund.Ich habe übrigens auch schon als "Warm-Upper" zum Beispiel auf mehreren Flashmobs (Rainbowflashs) gearbeitet. Gerade in Ostwestfalen empfiehlt es sich, die Leute erst mal warm zu bekommen. Wenn sie dann erst mal in Stimmung sind, finden sie kein Ende mehr. Wer weiß, wann es wieder etwas zum Jubeln gibt ;-)
Einstudierter Applaus: Ein alter Trick
Schon lange setzen Fernsehmacher auf gezielt gelenkte Publikumsreaktionen. Es fing früher mit eingespielten Lachern an. Damals fand man das noch total befremdlich und peinlich, heute merken viele das gar nicht mehr. Später kamen dann Einheizer hinzu. Viele Formate arbeiten mit „Applaus-Schildern“, die anzeigen, wann geklatscht oder gelacht werden soll. Auch Tonspuren mit eingespieltem Lachen („Laugh Tracks“) sind in
Sitcoms oder Comedy-Shows ein gängiges Mittel, um die Reaktionen des Zuschauers zu beeinflussen.
Die ersten Shows mit eingespielten Lachern in Deutschland verwendeten sogenannte „Lachkonserven“. Vorbilder waren US-amerikanische Formate wie „I Love Lucy“, bei denen Lacher aus vorherigen Aufnahmen wiederverwendet wurden. In Deutschland setzte unter anderem Rudi Carrell in seinen Shows früh auf dieses Stilmittel, das sich später in vielen Comedy-Formaten durchsetzte.
In Live-Shows wird sogar mit strategisch platzierten Jubelgruppen gearbeitet. Diese Gruppen bestehen aus professionellen Applaudierern, die genau wissen, wann sie welche Emotion zeigen müssen, um die gewünschte Wirkung zu erzielen. Das Publikum wird immer gefilmt, wie es lacht und konzentriert zuschaut, immer gut aussieht und jung und schön ist. Alles braucht Geschmacksverstärker.
Die Erfindung der Claqueure
Die Manipulation von Publikumsreaktionen ist keine neue Erfindung der Fernsehindustrie. Die Praxis der Claqueure, also bezahlter Applaudierender, geht bis in die Antike zurück. Bereits im Römischen Reich setzte Kaiser Nero gezielt Menschen ein, um seine Auftritte mit begeistertem Beifall zu untermalen. Im 19. Jahrhundert wurde dieses System insbesondere in Frankreich professionalisiert. In Paris entstand eine regelrechte Organisation von Claqueuren, die von Theaterhäusern engagiert wurden, um den Erfolg von Aufführungen gezielt zu beeinflussen.
Die Claqueure übernahmen dabei unterschiedliche Rollen:
- Chauffeurs (Heizer): Sie sorgten bereits vor der Vorstellung durch gezielte Äußerungen für eine positive Grundstimmung im Publikum.
- Chatouilleurs (Kitzler): Während der Pausen verbreiteten sie lobende Kommentare, um die Meinung der Zuschauer zu lenken.
- Connaisseurs (Kenner): Mit scheinbar fachkundigen Bemerkungen während der Aufführung verstärkten sie den Eindruck hoher künstlerischer Qualität.
- Rieurs (Lacher): Ihr ansteckendes Lachen sollte das Publikum ebenfalls zum Schmunzeln bringen.
- Pleureurs (Heuler): In besonders bewegenden Szenen ließen sie Tränen fließen, um die emotionale Wirkung der Aufführung zu steigern.
- Tapageurs (Aufsehenmacher): Ihr kräftiger Applaus diente dazu, den Beifall anzufeuern und die Stimmung zu heben.
- Bisseurs (Zugabe-Rufer): Durch lautes Rufen nach Zugaben animierten sie das Publikum, sich ihnen anzuschließen.
Dieses gut organisierte System half, Aufführungen gezielt zum Erfolg zu führen und beeinflusste damit das Publikumserlebnis erheblich. Auch wenn Claqueure heute nur noch selten in Theatern zu finden sind, lebt das Prinzip der inszenierten Zustimmung in anderen Bereichen, etwa in der Politik oder der Unterhaltungsbranche, weiter.
Warum wird diese Manipulation eingesetzt?
Die Antwort ist einfach: Emotionen sind ansteckend. Wenn Sie zu Hause sehen, wie ein Studio voller Menschen jubelt, fällt es Ihnen schwerer, sich dem zu entziehen. Diese Methode wird vor allem bei Unterhaltungssendungen, politischen Debatten oder großen Events eingesetzt, um das Gezeigte überzeugender und mitreißender wirken zu lassen. Der Eindruck, den Sie gewinnen, ist dadurch oft gesteuert und nicht unbedingt die echte Reaktion des Publikums. Manchmal wird es so übertrieben, dass man denkt: „Häh? Ist doch gar nicht so doll und lustig.“ Aber offenbar traut man dem Publikum nicht mehr viel zu oder kann auch nicht ertragen, wenn nicht alles gleich ein Mega-Hype ist. Stichwort Quote. Ich bin gerade in den letzten Jahren immer häufiger irritiert und wundere mich, warum manche Künstler oder Sendungen offenbar so wenig Vertrauen in ihre Leistung haben, dass sie dauernd lächelndes Pubilum und übertriebene Reaktionen auf jeden Witz, jedes Statement künstlich herstellen.
Interpassivität: Wenn Medien für uns reagieren
Ein interessantes Konzept in diesem Zusammenhang ist die sogenannte Interpassivität. Dabei geht es darum, dass Medien dem Zuschauer bestimmte Reaktionen abnehmen. Wenn in einer Show an den richtigen Stellen gelacht wird (ob durch Einheizer oder Lachkonserven), muss der Zuschauer selbst nicht mehr lachen. Das Medium übernimmt die emotionale Reaktion für ihn. Dieses Phänomen ist nicht nur im Fernsehen verbreitet, sondern auch bei anderen Unterhaltungsformaten, etwa in der Werbung oder in Social Media.
Beispiel: "Die golden Girls"
"Die Golden Girls" war eine ikonische Sitcom, die in den 1980er und 1990er Jahren große Popularität erlangte. Die Serie ist bekannt für ihren humorvollen Dialog, die charmanten Charaktere und die typischen Elemente einer klassischen Studio-Sitcom, wie künstlich eingefügte Pausen und eingespieltes Lachen. Diese Pausen, auch "Lacherpausen" genannt, wurden bewusst in die Dialoge integriert, um dem Publikum im Studio, und später den Zuschauern zu Hause, Zeit zu geben, über die Witze und Pointen zu lachen. Das eingespielte Lachen, oft von einer Live-Publikumsreaktion begleitet, verstärkte die komische Wirkung und schuf eine warme, gemeinschaftliche Atmosphäre. Diese Technik ist ein charakteristisches Merkmal von "Die Golden Girls" und trägt zum nostalgischen Charme der Serie bei, ist aber auch ein gutes Beispiel dafür, das die Zuschauer nicht mehr viel empfinden müssen. Es wird ihnen abgenommen.
Was bedeutet das für die Zuschauer?
Ein kritischer Blick auf inszenierte Begeisterung lohnt sich. Die künstliche Erzeugung von Emotionen ist ein effektives Mittel, um Inhalte intensiver erscheinen zu lassen. Doch wenn Sie das nächste Mal eine Show sehen, fragen Sie sich: Ist die Begeisterung echt, oder wird sie nur geschickt inszeniert? Wer dies durchschaut, kann Medien bewusster konsumieren und sich eine eigene, unabhängige Meinung bilden.
Probieren Sie es einfach mal selbst aus: Springen Sie bei einem Event oder Konzert einfach mal begeistert vom Sitz auf und rufen Sie "Bravo!". Sie werden sehen, es folgen Ihnen Leute nach. Ich glaube sowieso: Das die in letzter Zeit zunehmenden Standing-Ovations sich leicht selbst inszenieren lassen. Bitten Sie ein paar Freunde, sich im Raum zu verteilen und beim Schluss-Applaus nach und nach aufzustehen. Das löst dann mitunder eine Lawine aus und alle anderen stehen auch auf. Schreiben Sie mir, wenn es geklappt hat :-)